Elternzeit in Portugal - Teil 3
Aljezur - das verwunschene Örtchen
Der beliebte Auswanderer-Ort liegt eingebettet in die grüne Hügellandschaft der westlichen Algarve. Hier werden die Felder noch mit Eseln bewirtschaftet und man hört in der Ferne die Herdenglocken klingeln. Ein kleiner Fluss fließt durch das verwunschene Örtchen, welches sich an zwei Berghängen erstreckt. Die weißen Häuser von Aljezur schlängeln sich die beiden Hänge hinauf, bis zu den Ruinen einer alten maurischen Burg. Dieses kleine Fleckchen Erde ist über Jahre hinweg zu einem meiner Lieblingsorte geworden. Auch heute ist das urige und hippe Örtchen immer noch eine Reise wert.
Babys Entwicklung in Portugal - im Tragetuch durch Aljezurs Restaurants
Die Idee der gemeinsamen Elternzeit war ja, als Familie zusammenzuwachsen. Fany* versuchte die kleine Lillymaus* so oft es ging ins Tragetuch zu nehmen oder ihr mal ein Fläschchen mit abgepumpter Milch zu geben. Zum Ausprobieren klappte es zwar ganz gut. Aber als ich dann wirklich mal kurz außer Haus war, verlangte sie nur nach der richtigen Mamamilch. So passierte es, dass ich vom Einkaufen zurück kam und Papa Fany oberkörperfrei über die Terrasse lief und Lillybaby auf seinem Arm trug, ihm den Rücken zukehrend. Anscheinend konnte er sie nur so beruhigen - immerhin hat es geklappt. In dieser Zeit entstanden aus der Not ganz neue Kinderlieder für Lilly, die Papa Fany mit hoher Stimmlage für sie sang. Hohe Stimmen sollen Babys beruhigen. Und es funktionierte tatsächlich, er bekam sogar ein großes Lächeln dafür.
Mit ihren zwei Monaten konnte Lilly abends am besten im Tragetuch einschlafen. Ihr Schlaf war aber noch nicht so tief, dass wir sie, sobald sie eingeschlafen war, sofort ablegen konnten. So mussten wir sie etwa eine Stunde herumtragen bevor sie abgelegt werden konnte. Eigentlich war es auch praktisch, weil wir so mit ihr abends Essen gehen konnten. Sobald sie müde war, trugen wir sie im Tragetuch hin- und her bis sie eingeschlafen war und dann konnten wir ganz in Ruhe essen.
Restaurants gibt es mittlerweile viele in Aljezur. Zwei schicke Restaurants gehören dem italienischen Einwanderer Luigi und seine Fusion-Küche ist ausgezeichnet. Auch ein paar leckere Pizzarien und Fischrestaurants mit traditionellen Gerichten aus der Region gibt es. Besonders freut mich, dass sich das Primavera Restaurant unten an der Hauptstraße all die Jahre gehalten hat. Hier habe ich mit 7 Jahren zum ersten Mal Schnecken probiert - eine portugiesische Delikatesse.
Historisches Stadtzentrum von Aljezur
Die Burgruinen dominieren das historische Stadtzentrum Aljezurs und bieten einen wunderschönen Panoramablick auf das Dorf und die hügelige Landschaft. Die beiden Dorfhälften geben ein bezauberndes Bild ab: enge Kopfsteinpflasterstraßen und weiße Häuser mit farbig umrahmten Fenstern. In meiner Kindheit habe ich mich meistens am linken Häuserhang aufgehalten. Viele deutsche Auswanderfamilien lebten dort, alle hatten Kinder in meinem Alter. Wir sind die kleinen Wege hoch und runter gelaufen, haben auf der Straße Fußball gespielt und nachts die Sternschnuppen gezählt.
Erst dieses Jahr habe ich die rechte Hälfte des Hügels von Aljezur so richtig kennengelernt. Hier ist das kulturelle Zentrum von Aljezur. Von der Burgbesichtigung ging es für uns an der rechten Hügelhälfte die restaurierte Kopfsteinflasterstraße hinunter. Wir bemerkten direkt, dass die Häuser schicker waren, als auf der linken Hügelseite, sie wirkten zumindest frisch renoviert. Auf dem Weg nach unten kamen wir an einigen Museen und an der schönen weißen Kirche Igreja da Misericordia vorbei.
Am Platz vor dem Rathaus machten wir an einer Bank Pause und genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Dann ging es weiter Richtung Brücke. Auf der Rua João Dias Mendes haben viele hippe Läden aufgemacht: ein Schmucklädchen, eine Galerie, ein Veggie Bistro und ein Yoga-Studio. Wir endeten den Rundgang an der kleinen Bar Pont’a Pé, unten an der Brücke. Die Bar war einst in Deutscher Hand, ich bin mal in dem kleinen Garten von der Schaukel gefallen, als ich noch klein war. Jetzt ist der Laden in portugiesisch-englischer Hand.
Aljezurs Geschichte - von der alten Burg zur neuen Kirche
Bereits in der Eisenzeit soll es hier Siedlungen gegeben haben. Gegründet wurde die Stadt Aljezur aber von den Mauren, im 9. Jahrhundert. Sie erbauten die Burg auf dem Hügel und an den Hängen im Flusstal entstand das weiße Städtchen.
Im 15. Jahrhunderts verlor die Burg ihre militärische Funktion. Das kleine Örtchen erstreckte sich mittlerweile von der Burg bis zum Fluss unterhalb der Berghänge. Dort entstand ein natürlicher Hafen, der einzige der zerklüfteten Atlantikküste bis Lagos. Gehandelt wurde mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Viehzucht.
Das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 erschütterte ganz Portugal. Auch große Teile der Altstadt und die Burg von Aljezur wurden fast vollständig zerstört und nie wieder aufgebaut. Damit die Bürger von Aljezur eine sichere Bleibe bekamen, wurde auf der entgegengesetzten Seite der Hügel eine neue Stadt errichtet - das heutige Igreja Nova.
Die Märkte von Aljezur - für die Touristen und für die Einheimischen
Unten am Hang, inmitten des grünen Flusstals, neben der Brücke liegt der Platz Largo do Mercado. Hier steht die Markthalle, in der auch heute noch Fisch, Getreide, Früchte und Gemüse - vor allem die typischen lila Süßkartoffeln - verkauft werden. Die alte Markthalle ist mittlerweile eher ein Sightseeingspot für Touristen geworden - Preise entsprechend.
In Ingreja Nova wurde vor einigen Jahren ein großer internationaler Supermarkt gebaut, mit roten Neonleuchten. Wenn ihr mich fragt - ein Schandfleck, welcher die romantische Aussicht von Aljezur Richtung Igreja Nova mit seiner gleichnamigen weißen Kirche stört. Dafür mussten viele kleine Supermärkte weichen.
Eine günstigere Alternative: Oben auf dem Hügel von Igreja Nova, hinter der Kirche befindet sich die große Veranstaltungshalle. Hier gibt es jeden Samstag einen Erzeugermarkt, wo die Bauern der Umgebung ihre Ware aus erster Hand verkaufen. Wir waren verblüfft, wie frisch und günstig hier das Gemüse war. Aber nicht nur Gemüse sondern auch Backwaren und Honig kann man hier bekommen. Ein absoluter Insider Tipp.
Samstags früh geht es für viele Einheimischen und Zugezogenen also erstmal zum Erzeugermarkt. Danach treffen sich die Leute in einem der Cafés am Kirchplatz von Igreja Nova. Hier ist was los! Nur bei viel Glück bekommt man noch einen Platz. Der Rest trinkt seinen Galão auf der Parkmauer. Um den Kirchplatz herum gibt es einige Bistros und Restaurants, Supermärkte und Souvenir-Shops und sogar einen Unverpackt-Laden.
In der Veranstaltungshalle findet auch jeden Herbst das große Kartoffelfest statt. Aljezur ist der größte Hersteller von den lila Süßkartoffeln in Portugal. Sie werden in traditionellen Gerichte aus der Region verarbeitet, wie Suppen, Eintöpfe und Backwaren. Das Fest haben wir nur leider um eine Woche verpasst.
Aljezur im Wandel - zum hippen Szeneort mit Mut zum Widerstand
Aljezur konnte seinen urigen Charme behalten, aber doch hat sich hier vieles verändert. Ich erinnere mich noch daran, dass portugiesische Frauen vor ihren Häuser saßen oder ihre Wäsche auf den Wäschebrettern gewaschen haben. Heute gibt es diese Frauen leider nur noch auf Postkarten und Plakaten. Viele sind gestorben, ihre Häuser wurden zum Teil umgebaut und werden heute als Ferienwohnungen angeboten. Ja, den Anfang machten wahrscheinlich die Auswanderer der 1970er und 1980er Jahre. Heute gibt es zu viele Ferienhaus-Vermieter für ein so kleines Örtchen. Kleine Läden des täglichen Bedarfs mussten weichen für hippe Biobäckereien und schicke Pizza-Restaurants. Je mehr Surfer, Yogis und digital Nomads sich hier niederlassen, desto höher werden natürlich auch die Mieten. Aljezur ist im Wandel - für eine neue Generation.
Dies hat nicht nur Nachteile. Der neue Trend von fridays for future ist auch hier angekommen und wird der Region zugute kommen, davon bin ich überzeugt. So gab es zum Beispiel eine große Protestaktion gegen ein Ölbohrprojekt der portugiesischen Regierung. Demnach sollten die Konzerne GALP (Portugal) und ENI (Italien) in der Tiefsee, 45 Kilometer vor der Küste von Aljezur nach Öl suchen. Doch die ganze Region mobilisierte sich gegen das massive Ölbohrprojekt. Die Bürgerinitiative “Plataforma Algarve Livre de Petróleo” PALP (Algarve frei von Öl) wurde gegründet und hat große Protestaktionen gestartet. Besonders die Strände waren im Sommer 2018 Orte des Widerstands. Mit kilometerlangen Menschenketten wollte man die Touristen auf die ökologische Gefahr für die Küstenregion aufmerksam machen. Die 14 Bürgermeister der Algarve reichten eine Klage ein und konnten die Lizenzen vorübergehend stoppen. Das Gericht sah ebenfalls die ernste Gefahr für die Umwelt der Region und verwies auf die besondere Bedeutung des Meeres- und Naturschutzgebietes. Auch heute noch sieht man Plakate mit den Aufschriften “Oilgarve no thanks”, “Oilgarve = Paradise Lost” oder “Algarve says no to oil”.
Ich bin gespannt, was das neue alte Örtchen in Zukunft noch so auf die Beine stellt. Ich werde auf jeden Fall immer wieder her kommen, mich hier zu Hause fühlen und in Kindheitserinnerungen schwelgen!
Und? Seid ihr auch schon mal in dem kleinen portugiesischen Dorf Aljezur gelandet? Erzählt doch mal von euren Erfahrungen.
Welcher von den Stränden an der Algarve ist euer Lieblingsstrand? Hier findet ihr eine Auswahl der schönsten Strände der westlichen Algarve.
* Namen wurden geändert.
Kommentar schreiben