Elternzeit in Portugal – Teil 4: Lissabon
Pleiten, Pech und Pannen und das schöne Lissabon
Vier Wochen lang hatten wir die wunderschönen Strände der westlichen Algarveküste abgeklappert. Könnt Ihr euch vorstellen, dass selbst das Paradies irgendwann langweilig wird? Gut, das Wetter wurde kälter, baden war nicht mehr möglich. Aber irgendwann wurden selbst die Spaziergänge an den weiten langen Stränden eintönig. Dazu kam noch, dass uns bzw. Papafany* eine Panne nach der anderen verfolgte: Handy verloren, Uhr verloren, Hand an der Axt beim Holzfällen verletzt, Reifen geplatzt und auch die Automatik unseres Kombis hatte kurzzeitig den Geist aufgegeben. Klar war, wir brauchten einen Tapetenwechsel, drum zog es uns in die große Stadt, nach Lissabon.
Lissabon und die sieben Hügel
Ich liebe Lissabon. Lissabon ist neben Paris und Berlin meine 3. Lieblingsstadt in Europa! Die Stadt ist multikulturell, kreativ und bunt. Gepackt hat mich die tolle Atmosphäre, auch die etwas heruntergekommenen Gegenden und die atemberaubenden Blicke auf die Tejo-Mündung. Lissabon hat „den Blues“, den melancholischen Fado hört man abends in allen Gassen!
Der Legende nach wurde Lissabon - wie auch Rom - auf sieben Hügeln erbaut. Jeder Hügel erzählt seine eigenen Geschichten und über die Aussichtspunkte enthüllen die verstecktesten Ecken der Stadt. Eigentlich sind es sogar acht Hügel, auf denen die Stadt erbaut wurde. Einen hatte man nicht erwähnt, wohl um die Anlehnung an Rom beizubehalten.
Das Stadtbild ist geprägt von seinen Bewohnern: Römer, Maurer und sogar Alanen, ein iranischer Volksstamm haben hier gelebt. Durch das Erdbeben von 1755 wurde Lissabon fast gänzlich zerstört. Die zerstörten Stadtteile wurden nach und nach wieder aufgebaut und seit den 1990er Jahren blüht die Stadt mit Eintritt in die EU wieder richtig auf.
Babys Entwicklung in Portugal - Lissaboner WG mit Baby
Wir wohnten bei einer Freundin, die eine wunderschöne Altbauwohnung im Lissaboner Stadtviertel Santa Cruz, nördlich des Zentrums hat. Es hatte sich noch eine deutsche Bekannte zu Besuch angemeldet und so waren wir auf einmal eine lebhafte WG mit Baby. Jeden Abend hat einer von uns gekocht und wir saßen lange zusammen und haben gequatscht. Lilly* fand den Trubel spannend und freute sich - solange Papafany oder ich sie im Arm hatten oder sie uns sehen konnte. Wenn ihr eine andere Person zu nahe kam, bekam sie Panik. Ich vermute, das waren die ersten Verlustängste, die Erkenntnis, dass Mama und sie nicht eine Person sind und wie es sich anfühlt, von einer für sie so lebenswichtigen Person getrennt zu sein.
Mit Baby durch die Großstadt zu ziehen ist nicht so ganz einfach. Die wenigsten Restaurants haben einen Wickeltisch oder ein stilles Örtchen, an dem man ungestört das Baby stillen kann. Obwohl, Portugal ist da schon einen Schritt weiter als wir in Deutschland. In einer der Lissabonner U-Bahn Stationen ist ein Nursing Room, wo man Milch aufwärmen kann, das Baby wickeln und stillen kann. Auch an den Raststätten an der Autobahn gab es oft einen extra Wickelraum, getrennt von den Damentoiletten. In Portugal dürfen sich also auch die Väter um ihre Kinder kümmern. Daumen hoch für die Portugiesen!
Lissabon erkunden - Szeneviertel Chiado und Bairro Alto
Wir erkundeten die Stadt zu Fuß. Am ersten Abend ging es zum Abendessen ins Bairro Alto, in die Oberstadt, die sich oberhalb des Geschäftsviertels Baixa (Unterstadt) befindet. Große Teile des Bairro Alto haben das Erdbeben von 1755 unversehrt überstanden und konnten sich so seinen urigen Altstadtcharme behalten.
Im 19. Jahrhundert siedelten sich hier viele Redaktionen und Druckereien an und mit ihnen kamen die Intellektuellen. Die Buchhandlung Livraria Bertrand gibt es heute noch und ist der älteste bestehende Buchladen der Welt. Auf dem Weg vom Chiado ins Barrio Alto kommt man am berühmten Café Brasileira vorbei. Das Café aus der Belle Époque besuchten auch schon die großen portugiesischen Schriftsteller und Fernando Pessoa sitzt heute noch auf der Terrasse.
Von dort schlenderten wir durch die verwinkelten Gassen des Bairro Altos. Das Viertel ist heute das Ausgehviertel schlechthin. In den engen Gassen reihen sich verschiedenste Bars und Restaurants aneinander, traditionelle Tascas (günstige Restaurants, in denen Fado gespielt wird), schicke neue Clubs und Kneipen. Bei einem leckeren Abendessen oder Feierabend Cocktail lässt sich hier hervorragend der Abend ausklingen und sogarg bis tief in die Nacht bei live Musik feiern. Um 2 Ihr nachts ist der Spaß allerdings vorbei und alle Bars müssen schließen.
Wir suchten uns ein nettes kleines portugiesisches Restaurant. Das Essen war super und auch Lilly hatte großen Spaß mit den Kellnerinnen zu flirten. Sie war schon mit drei Monaten sehr aktiv und kontaktfreudig.
Es war November und die Stadt war schon weihnachtlich geschmückt. Auf dem Rückweg vom Barrio Alto über die Rua Garret zum Chiado wurde der große Weihnachtsbaum des Einkaufszentrums Amazens de Chiado beleuchtet, um die Weihnachtssaison zu eröffnen. Ein wirklich schöner Moment an einem milden Herbstabend in Lissabon.
Im Stadtviertel Chiado brach 1988 ein gewaltiges Feuer aus. Der zerstörte Stadtteil wurde dann schnell wieder aufgebaut - von außen originalgetreu, von innen modern. Heute stehen viele Bauten und einzelne Straßenabschnitte der Rua Garrett unter Denkmalschutz. Vom selben Architekten ist auch der Metro-Bahnhof Baixa-Chiado, zu welchem wir nun unterwegs waren. Auf den Stufen zur Metro blieben wir kurz stehen, um einem Straßenmusiker zu lauschen, der ein spanisches Lied auf seiner Ukulele spielte.
Pech und Pannen in Lissabon? - Egal, auf in die Viertel Mouraria und Alfama!
Am nächsten Tag wollten wir weiter durch die Stadt laufen. Wir mussten aber noch etwas aus dem Auto holen und wunderten uns, warum das Auto soweit am Bordstein stand. Ein Blick auf die Hinterseite des Autos verriet es uns: Jemand war durch die enge Straße gefahren und hatte komplett die hintere linke Seite unseres Autos mitgenommen, inklusive Auspuff! Ein Schock. Und von dem Fahrer war weit und breit nichts zu sehen. Ich find immer wieder interessant, wie unterschiedlich Menschen auf Stress reagieren. Manch einer würde sich über so etwas fürchterlich aufregen. Wir zum Glück nicht. Ich war geschockt, aber Lilly zu Liebe habe ich sofort versucht die Ruhe zu bewahren. Mein Freund war betrübt, klar, aber auch er ist ruhig geblieben. Da Sonntag war, konnten wir nicht viel tun. Wir mussten auf den nächsten Tag warten, wenn die Werkstätten wieder geöffnet hatten. Klar war, das wird teuer und kann dauern. Am nächsten Tag wollten wir eigentlich zurück nach Aljezur.
Hier und jetzt blieb uns aber nichts anderes übrig, als einen Spaziergang zu machen. Wir liefen durch die Viertel Mouraria und Alfama. Auf dem Weg dorthin gönnten wir uns als Trost eines der köstlichen Leckereien von einer portugiesischen Pastelería. Geredet haben wir nicht viel. Ein bisschen Aufbauarbeit meinerseits und die malerischen Viertel halfen meinem Liebsten zumindest ein bisschen über den gerade erlittenen Schmerz hinweg.
Das am Fuße der São Jorge Burg gelegene Bairro da Mouraria gilt als echter Geheimtipp: schmale Gassen, geflieste Häuserwände und Straßenkünstler. Das Viertel ist im Mittelalter für die unterworfene maurische Bevölkerung entstanden, die sich nur noch außerhalb der Stadtmauern niederlassen durfte. Durch das Erdbeben von 1755 wurde Mouraria kaum zerstört und konnte sich so seinen alten Charme bewahren. Gleichzeitig war es sehr heruntergekommen und galt lange als eins der ärmsten Viertel der Stadt. Heute ist es das wohl multikulturellste Stadtviertel von Lissabon: Chinesen, Inder, Pakistani und verschiedenste afrikanische Nationalitäten nennen das Bairro da Mouraria nun ihr Zuhause und Restaurants aus aller Herren Länder haben hier aufgemacht. Wir liefen vorbei am Platz Largo do Intendente, über die Treppe mit den typischen Fliesen zur Rua da Mouraia. Hier ist übrigens auch die Geburtsstunde des Fados, dem man abends live in einer der Bars lauschen kann.
Weiter ging es für uns ins fast autofreie Bairro da Alfama, das älteste Stadtviertel Lissabons. Die engen Gassen schlängeln sich wie ein Labyrinth vom Tejo bis auf den Burghügel. Das Viertel war einst das Herz Lissabons, erlitt beim Erdbeben 1755 auch kaum Schäden und ist daher noch gut erhalten. Über Alfama thront das Castelo São Jorge, in dem bis ins 16. Jahrhundert der portugiesische König residierte. Die Catedral Sé Patriarcal wurde nach dem Sieg über die Mauren auf dem Bauplatz einer ehemaligen Moschee errichtet und ist heute die älteste Kirche Portugals. Durch die engen Häuserschluchten von Alfama fährt auch die Lissabonner Straßenbahn Nr. 28.
An verschiedenen Aussichtspunkten - Miradouros genannt - hat man einen weiten Blick auf den Tejo und die anderen Hügel der Stadt. Insbesondere der Miradouro de Santa Luzia und der Miradouro da Graça sind abends zum Sonnenuntergang sehr zu empfehlen.
Eigentlich macht es Spaß, die engen Gassen zu erklimmen, sich durch die Straßen treiben zu lassen und an jeder Ecke kleine Schätze und tolle Streetarts zu entdecken. Nachdem wir uns noch ein paar Pastéis de Nata gegönnt hatten, war die Stimmung auch wieder aufgeheitert. Um die köstlichen Pudding-Teilchen kommt man in Portugal auch einfach nicht rum. Die gibt es an fast jeder Straßenecke. Die angeblich besten bekommt man in der Traditionsbäckerei im Lissabonner Stadtviertel Belém. Dort heißen sie dann auch Pastéis de Belém. Ich finde aber sie schmecken überall köstlich.
Von der Werkstatt ins Viertel Cais do Sodré
Wir hatten Glück im Unglück. Unsere Lissaboner Freundin kannte eine gute Werkstatt und hatte dort auch selbst einen Termin am nächsten Tag. Nunu, der Mechaniker schaute sich unser Auto an. Die komplette hintere Seite musste neu gemacht werden, Ersatzteile mussten bestellt werden. Das würde dauern. Wir konnten zum Glück noch etwas länger bei unserer Bekannten bleiben, wollten ihre Gastfreundschaft aber auch nicht ins Unermessliche ausreizen. Wir versuchten erstmal das Beste draus zu machen. Es gibt schließlich schlimmeres, als in Lissabon gestrandet zu sein! Die Stadt und die Menschen sind so inspirierend; Portugiesen sind unglaublich nette Menschen und kinderfreundlich obendrein.
Nach dem Werkstattbesuch gönnten wir uns ein gemeinsames Mittagessen im Time Out Market. Die alte Markthalle befindet sich gegenüber des Bahnhofs Cais do Sodré. Sie wurde mittlerweile komplett saniert und beherbergt ein kulinarisches Schlaraffenland: Portugiesische Küche, Burger, Sushi, Süßes und vieles mehr. Wir entschieden uns für den Essensstand von Sea Me und bestellten ein Octupus Hot Dog und frittierten Tintenfisch in schwarzer Tempura. Augenschmaus und Geschmacksexplosion vom Feinsten!
Cais do Sodré war einst der raueste Bezirk der Stadt: Hafenarbeiter und Seeleute lebten hier und vergnügten sich in Bordellen und dunklen Bars. Im Laufe der Zeit ist der Stadtteil zu einem trendigen Szeneviertel geworden. Die eingeführte Sperrstunde im Bairro Alto führte dazu, dass das Nachtleben sich mehr und mehr hierher verlagerte. Die Partynächte spielen sich vor allem rund um die Pink Street ab. Aber auch am Tag lohnt sich ein Spaziergang durch das Viertel, besonders Künstler und Kreative sind dann anzutreffen. Bei einem Spaziergang sollte der restaurierte kleine Park Jardim de Roque Gameiro sowie die Uferpromenade der Tejo Mündung nicht fehlen.
Wir liefen die Uferpromenade Ribeira das Naus entlang zurück zum Praça do Comércio. Von hier hat man eine tolle Aussicht auf die rote Ponte 25 de Abril und das am anderen Ufer gelegen Stadtviertel Almada, das übrigens auch ein Abstecher wert ist. Am Quiosque Ribeira das Naus machten wir Halt und gönnten uns einen (alkoholfreien) Cocktail. Der Platz vor dem typisch-portugiesischen Kiosk lud uns zum Verweilen ein. Eine kleine Menschenmasse hatte sich hier angesammelt und lauschte der Straßen-Rockband.
Weiter Richtung Zentrum kamen wir an den farbenfrohen Skulpturen am Wasser vorbei, das Werk von zwei pensionierten Künstlern, Míro und Pédro. Sie bauen die tollen Kunstwerke aus Steinen aus dem Tejo.
Gestrandet in Lissabon - Viertel Rato & Principe Real
An Tag vier der ursprünglich zwei geplanten Tage in Lissabon gab es immer noch keine konkrete Info von der Werkstatt, dass unser Auto bald fertig sein würde. Also waren wir weiterhin gestrandet. Wir erkundeten die Viertel nordöstlich des Barrio Altos: Rato & Principe Real. Hier, fern ab vom Massentourismus, ist die Atmosphäre relaxt und lebendig. Die Bewohner sind normale Arbeiter, Bohemians, Künstler, Schriftsteller und Designer, aber auch viele Einheimische trifft man auf der Straße.
Vor allem die Gegend um den Praça das Flores und Jardim do Príncipe Real lädt zum Schlendern ein. Die exotischen Bäume rund um den botanischen Garten und die bunt gestrichenen Häuser bieten Entspannung von der hektischen Innenstadt. Am typisch portugiesische Quiosque im Jardim Principe Real gönnten wir uns eine Pause zum Ausruhen, Wickeln und Stillen. Als wir unseren Spaziergang durch die zwei Viertel fortsetzten, kamen wir an vielen gemütlichen Cafés vorbei und nahmen uns gleich noch eine kleine portugiesische Leckerei mit. Empfehlenswert sind vor allem die Cafés Bettina & Noccolò Corallo Chocolate & Cafè, die Pasteleria Cister oder die Pasteleria Padaria São Roque.
Auf dem Rückweg zum Praça do Comércio, entdeckten wir noch einen kleinen Schatz.: den Miradouro de Santa Catarina.
Über den Praça do Comércio liefen wir Richtung Rua Augusta, um noch ein paar Mitbringsel für unsere Freunde und Familie zu Hause zu besorgen. Vor dem Erdbeben im Jahre 1755 stand am Praça do Comercio übrigens noch das Palastgebäude mit dem königlichen Uferschloss.
Durch den großen Triumphbogen gingen wir zur Rua Augusta, dort wimmelte es von Menschen, Straßentänzern und Musikern. Ich schaute gespannt ein paar afrikanischen Tänzern zu, die gerade Michael Jackson performten. Ein paar Meter weiter gab gerade ein Schülerchor traditionelle portugiesische Musik zum Besten. Auch diese Kontraste machen die Stadt so einzigartig.
Abreise und Things to do in Lissabon für das nächste Mal:
An Tag fünf gab es immer noch kein Anzeichen dafür, dass unser Auto bald fertig sein würde, also entschieden wir uns, einen Mietwagen zu organisieren und erst einmal zurück nach Aljezur zu fahren. Von nun an verblieb uns noch eine Woche unser insgesamt sechs Wochen Elternzeit in Portugal. Die wollten wir auch nutzen und nochmal das Beste draus machen.
Der Kurztrip nach Lissabon war trotzdem sehr schön. Und wir waren sicherlich nicht das letzte Mal hier. Um so besser, dass wir auch dieses Mal nicht alles geschafft haben. Hier eine Liste über die things to do beim nächsten Lissabon-Trip:
- Der Flohmarkt Feira da Ladra – ein Paradies für Foto- & Antiquitäten-Liebhaber
- Mit Kindern: Tier- und Unterwasserwelt im Ozeanarium und im Zoo, Spielplatz im Park Jardim da Estrela
- Stadtviertel Lapa
- Fadoabend in der Casa de Linhares
- Restaurant Casa da Índia (Portugiesische Gerichte)
- LX Factory in Alcântara und Village Underground (Kreativ- und Hipsterviertel mit Designer-Läden, Restaurants, Galerien und Marktständen)
- Mit der Fähre über den Tejo nach Cacilhas
- Frischen Fisch essen am Strand von Caparica
- Ausflug zu den Stränden in Cascais oder Carcavelos
- Zu den Märchenschlössern von Sintra
- Bar/Restaurant Primeiro Andar
- Aussichtspunkt Panorâmico de Monsanto (altes, verfallenes Hotel mit 360° Blick über Lissabon)
- Pastéis de Nata und Spaziergang an der Strandpromenade in Belém
Fortsetzung folgt in Kürze. Bis dahin schaut euch doch nochmal an, wie unsere Elternzeit in Portugal begann!
*Namen geändert.